Aktuell vergeht kein Tag ohne Meldungen aus Saudi Arabien. Vor allem die verhältnismäßig spektakulären und populären, sozialpolitischen Reformen des Kronprinzen schaffen es regelmäßig in die Tagespresse.
- Frauen wird das Autofahren erlaubt
- das erste Kino eröffnet nach 35 Jahren im Land
- erstmals findet eine Wrestling Veranstaltung in Saudi Arabien statt
Es tut sich aber noch viel mehr Spektakuläres in Saudi Arabien:
- das höchste Gebäude der Welt wird errichtet (Jeddah Towers – Höhe ca. 1.007 Meter; Fertigstellung 2019)
- die größte Freiflächen-Solaranlage des Landes wurde in Betrieb genommen
- die größte Solaranlage der Welt soll zusammen mit der japanischen Firma Softbank gebaut werden
- Der Unternehmer Richard Branson will die Hauptstadt Riad mit der Küstenstadt Dschidda über eine Hyperloop-Strecke verbinden
- Der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Siemens – Klaus Kleinfeld – ist der Leiter des »Neom«-Projekts; die ersten Gebäude werden bereits gebaut. Mit dem Neom-Projekt soll auf 26.500 km2 eine komplett neue, hochmoderne, internationale Stadt am Roten Meer entwickelt werden. Die geplante Stadt hat eine Fläche von einem Drittel von Österreich!
- Auf 334 km2 entsteht das Disneyland Saudi Arabiens, welches zukünftig 17 Millionen Besucher pro Jahr anlocken soll – es wäre mehr als doppelt so groß, wie der größte Freizeitkomplex der Welt.
Das sind nur einige, der vielen aktuellen Projekte in Saudi Arabien. Alles ist riesig und gigantisch. Teils klingen die Projekte wie aus einem Phantasie-Roman. Sicherlich wird es an einigen Stellen Abstriche geben und nicht alles so umgesetzt werden, wie zunächst angekündigt – aber es sind eben laufende Projekte, die nicht nur auf dem Papier stehen, sondern meist schon in der Umsetzung sind.
Neben diesen spektakulären Projekten gibt es noch eine Reihe anderer Reformen, die bei uns weniger in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden.
Die amerikanische Öl-Managerin Lynn Elsenhaus ist an die Spitze des Verwaltungsrates der staatseigenen Ölfirma Saudi Aramco berufen worden – Ausländer & Frau – gleich zwei Sensationen auf einmal!
Stichwort »Saudisation«: Ausländische Shop-Besitzer mussten ihre Läden schließen (und sind in Folge abgewandert) - dadurch werden einheimische (oft börsen-notierte!) Unternehmen stark gefördert. Für solche Shops – Einzelhandel, Elektronik-Märkte, Autovermietungen und so weiter – wird für 2019 ein Gewinnwachstum von +40% erwartet. Gleichzeitig bekommen mehr Saudis Arbeit – auch Frauen! Der Einzelhandel darf inzwischen auch während der Gebetszeiten geöffnet bleiben – auch das steigert die Produktivität enorm.
In einer aufsehenerregenden Anti-Korruptions-Kampagne wurden 200 Personen »ins Gefängnis« gesteckt. Das »Gefängnis« war das Ritz-Carlton Hotel in Riad. Ein 5-Sterne-Palast – eine Übernachtung kostet in der billigsten Kategorie je nach Jahreszeit ab 200-500 Euro pro Nacht. Unter den »Inhaftierten« waren Prinzen, Minister, Vorstandsvorsitzende und viele andere hochrangige Personen des Landes. Der Prozess wurde im Januar beendet – die Angeklagten haben in Summe knapp 90 Milliarden Euro an den Staat bezahlt.
Auch am Saudischen Kapitalmarkt gab und gibt es weitere Reformen und Neuerungen. So wurden zum Beispiel Beschränkungen für ausländische Investoren deutlich gelockert.
Subventionen werden abgebaut, eine Mehrwertsteuer in Höhe von 5% wurde Anfang 2018 eingeführt.
Es passiert also sehr, sehr viel in Saudi Arabien.
Für Sie ordnen wir das in einen größeren Kontext ein:
Saudi Arabien hat aktuell rund 32 Mio. Einwohner. Rund 11 Mio. Personen sind Ausländer – vor allem Gastarbeiter aus Indien, Indonesien, Pakistan und Bangladesch. Das Durchschnittsalter liegt bei 27 Jahren. Somit hat Saudi Arabien eine sehr junge Bevölkerung, die in den letzten Jahrzehnten sehr stark gewachsen ist. Bis heute finanziert sich quasi das ganze Land ausschließlich durch die Einnahmen aus dem Ölsegment.
Die Staatsverschuldung ist sehr gering. Es gibt verschiedene Berechnungsarten und Quellen – die bekanntesten Quellen testieren einen Schuldenstand von 17% vom BIP. Zum Vergleich: Deutschland steht bei 64% vom BIP. Deutschland konnte aber seine (relativen) Schulden in den letzten Jahren reduzieren. Saudi Arabien hat sie von 2% im Jahr 2013 bis heute aber deutlich erhöht. Die aktuelle Situation ist zunächst kein Problem, ein strukturell nachhaltiges Defizit kann die Situation jedoch auf absehbare Zeit verschlechtern.
Schuld daran sind unter anderem die stark gewachsene Bevölkerung, der extreme Verfall des Öl-Preises 2014/ 2015, die einseitig aufgestellte Volkswirtschaft und auch die relativ hohe Arbeitslosigkeit der Einheimischen.
Es war an sich nichts Neues, dass die Abhängigkeit vom Öl reduziert werden muss, jedoch fehlte es an nachhaltigen Konzepten. Prinz Mohammed bin Salman (MbS) hat mit seinem »National Transformation Plan« und seiner »Vision 2030« sehr ehrgeizige und konkrete Schritte auf den Plan gebracht. Vermutlich ist das einer der Gründe, warum der bisherige König Salman ibn Abd al-Aziz seinen Sohn MbS im Juni 2017 zum Kronprinz ernannt hat. Durch diese Ernennung hat König Salman mit der bisherigen Tradition der Thronfolge gebrochen.
MbS will durch die oben beschriebenen Maßnahmen und Projekte das Land reformieren, diversifizieren und öffnen.
Für Investoren scheint in Saudi Arabien ein Schlaraffenland zu entstehen. Die vielen Reformen wirken sich nämlich auch und vor allem auf den Aktienmarkt aus. Dazu kommen wir später noch einmal.
An dieser Stelle möchten wir aber zunächst auf die Kritiker und Risiken eingehen:
Durch den Bruch der Tradition der Thronfolge wird MbS der mächtigste Mann, den Saudi Arabien bisher gesehen hat – auf Kosten von vielen anderen! Die Reformen sind bei den alten, sehr konservativen Schichten absolut unbeliebt. Das gilt für die sozialen Reformen, aber vor allem auch für die wirtschaftlichen Reformen, weil sie diesen Schichten Geld kosten. Somit ist davon auszugehen, dass MbS innenpolitisch sehr viele Feinde hat, die auch sehr mächtig sind. Es ist durchaus denkbar, dass diese Personen versuchen werden die Macht auch mit Gewalt wieder zurück zu bekommen. Der von MbS geführte Antikorruptionsprozess war sicherlich ein Wink in Richtung der erzkonservativen Schichten – ob er jedoch ausreicht, muss sich noch zeigen.
Außenpolitisch sind die Aktionen von MbS bestenfalls als »suboptimal« zu bezeichnen. Zwar hat er Israel im Februar erstmals ein Existenzrecht zugesprochen – viel mehr Positives lässt sich in seinem außenpolitischen Kurs bisher jedoch nicht erkennen.
Als Verteidigungsminister begann er mit den Militäraktionen im Jemen. Hier scheint im Wesentlichen ein Stellvertreterkrieg zwischen Iran und Saudi Arabien zu laufen. Ähnliche Tendenzen sieht man in Syrien, Libanon, Katar – es geht immer gegen den Iran. Gegenüber dem Wall Street Journal hat MbS gesagt, dass es wahrscheinlich binnen 10 bis 15 Jahren einen Krieg gegen den Iran geben wird.
Einige Beobachter meinen, dass es bei der Außenpolitik von MbS nur darum geht den Ölpreis künstlich hoch zu halten und dass aktuell eine direkte Konfrontation gegen den Iran auszuschließen ist. Die Militäraktionen im Jemen und die mindestens zweifelhaften Praktiken gegen Katar geben jedoch eher Anlass zur Sorge. Die geopolitische Lage ist und bleibt in der Region gefährlich.
Diese Risiken – ein innenpolitischer Sturz von MbS oder eine außenpolitische Eskalation hätten vermutlich massivste, negative Folgen für den Aktienmarkt in Saudi Arabien.
Wer also über eine Investition in der Region nachdenkt, muss sich vorher mit diesen Risiken befassen.
Kommen wir nun aber zu den Chancen am saudischen Aktienmarkt:
Bisher gibt es am saudischen Aktienmarkt nur sehr wenige Ausländer. Zum einen gab es starke Beschränkungen für Ausländer, zum anderen sind saudische Aktien in keinem großen, internationalen Aktienindex vertreten. Ausländer sind für weniger als 5% der Börsenumsätze verantwortlich und halten auch weniger als 5% des gesamten Aktienmarktes in den Händen.
Genau das wird sich aber nun ändern!
Der Indexanbieter FTSE gab vor Kurzem bekannt, dass Saudi Arabien in den Emerging Market Index mit einer Gewichtung von 2,7% aufgenommen werden wird. Die Aufnahme wird in mehreren Schritten bis Dezember 2019 vollzogen. Schätzungen zu Folge sollte allein diese Indexaufnahme mehr als 4 Milliarden Dollar an passiven Geldern (!) in den Markt bringen. Passive Gelder sind Gelder von Indexfonds. Diese bilden mit ihren Investitionen einfach einen Aktien-Index ab. Verändert sich ein Index, werden diese Gelder genauso neu verteilt. Aktuell werden rund 175 Milliarden US Dollar von passiven Indexfonds verwaltet, die den FTSE Emerging Market Index abbilden.
Der wesentlich bedeutendere Indexanbieter MSCI wird voraussichtlich im Juni entscheiden, ob Saudi Arabien auch hier in den Emerging Markets Index aufgenommen wird. Es gibt rund 385 Milliarden Dollar in passiven Indexfonds, die diesen Index abbilden. Sollte MSCI Saudi Arabien aufnehmen und ähnlich hoch gewichten, dann würde das bedeuten, dass nochmal mehr als 10 Milliarden Dollar passive Gelder investiert werden würden bzw. müssten.
Es ist schwer abzuschätzen, wie viele aktive Gelder in das Land fließen werden. Schätzungen gehen von rund 30 Milliarden Dollar aus. Fest steht eins: Wenn solche Geldmengen in den saudischen Aktienmarkt investiert werden, dann dürfte dieser massiv ansteigen.
Die Vergangenheit zeigt in anderen Ländern mit ähnlichen Geschichten jedoch, dass genau das bereits im Vorfeld passiert – und nicht erst dann, wenn die Indexaufnahme tatsächlich erfolgt.
Wenn man von diesen Effekten profitieren will, dann muss man jetzt dort investieren – und nicht in zwei Jahren, wenn die Indizes tatsächlich umgestellt sind.
Saudi Aramco
Ein weiteres Thema für die Börsen ist der geplante Börsengang der staatlichen Ölgesellschaft Saudi Aramco. MbS hat eine klare Preisvorstellung: 100 Milliarden Dollar für 5% der Anteile an der Ölgesellschaft – das soll der erste Teil des Börsengangs Wert sein. Das würde einen rechnerischen Wert von 2 Billionen Dollar für die Gesellschaft ergeben. Bei allem was Recht ist, aber diese Bewertung erscheint im Verhältnis zu anderen globalen Ölkonzernen doch sehr sportlich – oder sollen wir eher utopisch sagen?
Ob nun 500 Milliarden oder 2 Billionen Dollar – auch hier steht eins fest: Ein Börsengang von Saudi Aramco würde den saudischen Aktienmarkt als Ganzes sofort auf das internationale Parkett bringen. Zu groß sind die Summen um die es hier geht!
Fassen wir die Situation zusammen:
In Saudi Arabien finden wir heute einen Aktien-Markt in dem sich aktuell kaum Ausländer tummeln. Indexent-scheidungen werden ausländische Gelder zwangsweise in diesen Markt lenken. Eventuell werden weitere Index-entscheidungen und ein großer Börsengang zu weiteren, ausländischen Mittelzuflüssen führen. Bereits diese Tatsachen werden die Nachfrage nach saudischen Aktien nachhaltig erhöhen.
Zusätzlich gibt es massive soziale, wirtschaftliche und gesellschaftliche Reformen, die in Summe jeweils positiv zu beurteilen sind. Mit dem »National Transformation Plan« und der »Vision 2030« werden eine Vielzahl von Großprojekten angeschoben, die das Potential haben, das Land wirtschaftlich zu diversifizieren und weiter zu öffnen. Am Ende könnten damit tatsächlich neue Einnahmequellen entstehen. Kurz- und mittelfristig dürften diese Projekte zunächst einmal eine hohe Arbeitsplatzsicherheit und wirtschaftliche Dynamik in den nächsten Jahren liefern.
All das spricht für eine Investition in den saudischen Aktienmarkt.
Dagegen sprechen vor allem drei Risikofaktoren: Innenpolitische Begehrlichkeiten gegen MbS und seine Reformen, außenpolitische Fehltritte von MbS und die Geopolitik im Nahen Osten insgesamt. Jedes dieser Risiken würde bei Auftreten vermutlich massive Verluste nach sich ziehen.
Aktuell überwiegen in unseren Augen die Chancen. Die Risiken sind allesamt relativ abstrakt – während bei den Chancen knallharte Argumente überzeugen. Den Risiken begegnet man am Besten mit einer entsprechend geringen Gewichtung, so dass ein eventueller Verlust auch verkraftbar wäre. Eine Absicherung der Risiken ist theoretisch auch über eine Investition in Rohstoffe – hier insbesondere in Rohöl – denkbar.